Antisemit_innen, die glauben, keine zu sein – Teil II

Es gibt Begegnungen, die mich eine Woche lang nicht zur Ruhe kommen lassen, nach denen ich anfange zu weinen und verwirrt erst einmal analysieren muss, warum. Es sind die Begegnungen mit Personen, die selber glauben, dass sie gute Absichten haben, deren Sprachgebrauch und Äußerungen mich aber fassungslos machen. Sie lächeln und wollen in gutem Einvernehmen bleiben, während sie davor Wort um Wort in meine Seele gerammt haben. Ich bin so paralysiert, dass ich mitspiele und mich zu überzeugen versuche, dass das ja Personen sind, die es wenigstens gut meinen. Aber an den folgenden Weinkrämpfen und schlaflosen Nächten merke ich, was diese Begegnungen angerichtet haben.

Da gab es auch die mögliche Kooperationspartnerin. Sie kam in mein Büro und erklärte mir erst einmal, dass fraglich sei, ob „das jüdische Thema“ überhaupt nachgefragt werden würde. Manche würden sich schon interessieren, aber viele würden einen Bogen um „dieses Thema“ (Ich hatte noch kein einziges Mal „Schoah“ gesagt und hatte es eigentlich auch nicht vor) machen. Natürlich ließe sich „das jüdische Wien“ immer wieder mal an einem Nachmittag abhandeln. Im Lauf des Gesprächs ließ sie mich außerdem wissen, dass in ein paar hundert Jahren niemand mehr über die Schoah reden würde. Schließlich gab es ja „auch andere Religionskriege“ [sic(k)!!!!!!], wie die Franzosen mit den Hugenotten verfahren sind war ja auch ganz furchtbar und heute redet niemand mehr darüber. Während all dem ließ sie mich immer wieder wissen, wie froh sie über eine Kooperation wäre und was für eine gute Idee das nicht sei.

Für mich war es selbst zunächst nicht ganz klar, wieso ich nach dem Gespräch zusammengebrochen bin und noch tagelang kaum schlafen konnte. Es hat viel Nachdenken erfordert, aber hier ist meine Analyse:

  1. Was soll „das jüdische Thema“ sein? Das ist meine Religion, meine Familie, mein Leben, kein bloßes Thema.
  2. Es ist widerlich, ins Gesicht gesagt zu bekommen, dass sich Leute entweder nicht so für meine Existenz interessieren oder noch schlimmer, meine Existenz am liebsten ignorieren würden, weil sie ihnen so ein schlechtes Gefühl gibt. Ja sorry dass ich am Leben bin, echt. Das ist auch einer der ganz schlimmen Nebeneffekte davon, als Jüdin um Subventionen für jüdische Bildungs- und Dialogarbeit anzusuchen. Eine Ablehnung fühlt sich an wie „Du und dein Volk, ihr interessiert uns nicht, für so was haben wir kein Geld“.
  3. Judentum ist mehr als die Schoah und der Humor, mit dem wir versuchen, trotzdem klarzukommen! Es ist lieben, lachen, Angst haben, kämpferisch sein, daran glauben, dass man seine Sache gut machen kann, eine besondere Beziehung zu Gott haben oder sich für den Atheismus und gegen die Beschneidung entscheiden. Es ist lesbisch, schwul, queer, schwarz, amerikanisch, philippinisch, indonesisch, israelisch, usbekisch, russisch…
  4. Man stelle sich vor, einem missbrauchten Kind zu sagen, dass in ein paar Jahren niemand mehr über das erlittene Unrecht reden werde, man solle sich zusammenreißen, denn dem Soundso ist zum Beispiel der Vater gestorben und der kommt ja auch so gut zurecht. So hat sich das mit den Hugenotten (beliebt sind hier auch Sudetendeutsche etc.) angefühlt. Wobei, da fällt mir auf, ich glaube, die Hugenotten gibt es als Gemeinschaft nicht mehr. Ist das das, was die Dame von uns Jüd_innen wollte?
  5. Überhaupt, was heißt da NIEMAND wird drüber reden? Wir Jüd_innen werden drüber reden, so wie wir uns an die Massaker an Jüd_innen während der Kreuzzüge erinnern und an die Zerstörung des Zweiten Tempels durch das Imperium Romanum.
  6. Wieso muss man die Schoah überhaupt vergleichen? Etwas in Relation zu stellen führt ganz leicht dazu, es zu relativieren. Etwas anderes ist natürlich der wissenschaftliche Vergleich von Völkermorden, um generelle menschliche Handlungsweisen und Phasen bei so was herauszubekommen, um es in Zukunft zu verhindern.

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